Donnerstag, 15. November 2018

Narben




In der Mitte meines Lebens
schaue ich an mir herab und kann sie siehen
Die Narben, die Unsichtbaren
und meine Sinne streichen über sie, ich kann sie noch fühlen.
Sie machen mich zu dem Menschen, der ich heute bin.

Die kleine Narbe dort, so unscheinbar und klein...
Wie kann so etwas Kleines, mit der Zeit, so große Auswirkungen haben?
Ein Indianer kennt keinen Schmerz- du musst stark sein
Zeig ihnen nicht das traurig bist, zeig ihnen nicht deine Schwäche
Lass alles an dir abprallen, sei entschlossen.

Oder die hier? Die mir immer wieder sagt
das ich dazu verdammt bin die Fehler meiner Vorfahren zu wiederholen?
Meinen Genen kann ich nicht entkommen, es ist unausweichlich
Denn ich wurde so geboren.

Diese große Wulst auf meiner Seele, häßlich und schön zugleich
erinnert mich an meine beste Zeit, meine schlimmste Zeit.
Als ich so wenig wusste und mir Wissen mit Schmerz erkaufte.
Als ich nichts wollte als Lieben und geliebt zu werden, doch war ich nur ein Spielball der Launen und Gelüste meines Gegenübers.
Hoffnungslos verloren in den Wellen der Hormone und Gefühle ertrank ich
Und meine Unschuld starb

So lange ist es her
und doch glaube ich heute noch das es gut und richtig war
Zu ertrinken, behandelt zu werden wie ein Spielzeug
Wie ein Ding
Ohne eigenen Willen, ohne eigene Gefühle
Weil ich es verdiene.
Weil ich, von Natur aus, eine gestörte Sexualität haben muss...
Meine Erbschuld.

Ich verdiene es für all die grausamen Dinge die Meinesgleichen über so lange Zeit über die Welt gebracht hat, weil ich-ein mikroskopisch kleiner Teil eines großen Ganzen- trotzdem noch Teil des Ganzen bin.
Ich verdiene jedes Bisschen emotionale Grausamkeit , Verachtung und süße Herabwürdigung die mir zuteil wird, jede weitere Narbe, deren Summe mein verkrüppeltes Selbst ausmacht.

Und ich habe gelernt all diese Dinge anzunehmen, habe es mir antrainiert zu lächeln, wenn ich eigentlich weinen möchte.
Nicht aufzubegehren, denn
Es gehe mir ja so viel besser als so vielen Anderen!
Ich werde doch jeden Tag bevorzugt und nehme es so selbstverständlich auf das ich es kaum noch wahrnehme.
Ich solle doch mal auf die Anderen schauen, denen es nicht so gut geht wie mir.
Die nicht mit dem gleichen Geburtsrecht diese Welt betraten.
Und ich soll nicht herumheulen.
Und nicht jammern.
Mich zusammenreißen.
Denn ich bin doch privilegiert.

Und ich solle mich doch was schämen!
Das tue ich, jeden Tag
Weil es so Viele gibt die so Scheiße sind, ignorant, dumm und gefühlskalt
Grausam und brutal.
Doch weil wir diese eine kleine Sache gemeinsam haben
Muss ich ebenso scheiße sein, es kann doch gar nicht anders sein!

Wie soll ich lieben... WIRKLICH Lieben, wenn ich mich selbst nicht lieben kann? 
Habe ich doch gelernt mich selbst zu hassen für das was ich bin. 
Und die Gesellschaft diesen Selbsthass nicht nur toleriert, sondern auch fördert? 


Ich bin ein Mann
Ist das nicht toll?
Fuck-a-doodle-dooo